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Von Hartz IV zum Studium

Akademie Dessau

Wie bekommt man jemanden, der 2 Jahre lang sein Haus nicht verlassen hat, dazu, ein Studium in Wasserwirtschaft zu beginnen?

Paul lächelt in die Kamera.

Ganz einfach: man schickt ihn zu „Auf Kurs“!

Als uns Paul zugewiesen wurde, war er erstmal ein Teilnehmer wie alle anderen. Wir ahnten noch nicht, wie viel Freude er uns machen würde.

Paul war Hartz-IV-Empfänger und reagierte schon länger nicht mehr auf Briefe oder Anrufe, weshalb das Jobcenter uns beauftragt hatte, ihn aufzusuchen. Zunächst änderte sich nichts. Die Anrufe liefen auf die Mailbox, Briefe wurden nicht beantwortet, Terminvorschläge nicht wahrgenommen.

Doch dann kam der erste Hausbesuch. Natürlich trafen wir Paul zuhause an, er hatte das Haus ja seit Monaten nicht mehr verlassen. Schnell wurde auch klar warum. Paul war stark übergewichtig und konnte sich nach eigener Aussage keine 100 Meter weit bewegen. Seine Gelenke schmerzten und er war schnell außer Atem. Eine Teilnahme in Präsenz schien für ihn unmöglich.

Nach Rücksprache mit seiner Fallmanagerin boten wir ihm an, ihn zunächst in Distanzarbeit zu betreuen, was er freudig akzeptierte. Die folgenden Monate schickten wir viele Mails hin und her und hielten telefonisch Kontakt. Paul war sehr gewissenhalt, was die Erledigung der Aufgaben anging und sendete die Lösungen immer pünktlich zurück.

Eine der ersten Aufgaben war die Bearbeitung des Check-U Berufswahltests. Dabei kam heraus, dass eine Ingenieurstätigkeit gut zu ihm passen würde. Paul interessierte sich bereits davor für Technik und hatte überlegt, ein Studium aufzunehmen. 2020 hatte er sein Fachabitur bestanden.

Zufällig äußerten fast gleichzeitig sowohl Paul als auch seine Fallmanagerin den Wunsch, er möge in Präsenz an „Auf Kurs“ teilnehmen. Und so kam Paul Anfang Juni das erste Mal in die FAW.

Anfangs war er noch sehr schüchtern und zurückhaltend, was sich aber schnell änderte. Er lernte andere Teilnehmende kennen und fasste Vertrauen zu den Mitarbeitenden. Bald war er das Herz der Gruppe. Er machte Witze, schlug Aktivitäten oder Themen vor und brachte sich auch sonst selbständig ins Gruppengeschehen ein. Als einer der zuverlässigsten Teilnehmenden hatte er kaum Fehltage und erschien jeden Tag pünktlich und motiviert.

Pauls Ehrgeiz war unbeschreiblich

Von seinen körperlichen Einschränkungen war bald nichts mehr zu erkennen. Nicht nur nahm Paul jeden Tag den Weg zur FAW in Angriff, er beteiligte sich auch an jeglichen sportlichen Aktivitäten, die bei „Auf Kurs“ angeboten wurden. Er nahm am wöchentlichen Fitness-Programm und an Exkursionen teil. Beim Beach-Volleyball warf er sich in den Sand, beim Basketball warf er Körbe. Bei der Besteigung des Albin-Müller-Turms im Stadtpark war er der einzige (!) Teilnehmende, der nicht den Aufzug, sondern die Treppe (252 Stufen) benutzte. Selbst vor der 6 Kilometer langen Wandertour im Harz schreckte er nicht zurück. Unter Fluchen und Schimpfen kämpfte er sich den Berg hoch, doch selbst zwei glücklicherweise harmlose Stürze konnten ihn nicht stoppen. Pauls Ehrgeiz war unbeschreiblich und die Verbesserung seiner Fitness unverkennbar.

Über seine sportlichen Heldentaten hinaus beschäftigte er sich weiterhin mit dem Ziel zu studieren. Er informierte sich über die Studiengänge, die an der Hochschule Magdeburg-Stendal angeboten werden und entschied sich letztendlich für Wasserwirtschaft. Die Bewerbungsunterlagen waren schnell zusammengestellt und so war Paul bereit für das Studium.

Inhaltlich war ihm bewusst, dass seine Mathematik-Kenntnisse wohl etwas Auffrischung bedürfen. Also setzte er sich regelmäßig mit Übungen auseinander und meldete sich zum zweiwöchigen Vorbereitungskurs an der Hochschule an.

Natürlich gab es auch Hindernisse (zwischenzeitliche Motivationsprobleme, ein hitziger Sommer, seine Angst vor dem Telefonieren) und Schreckmomente.

Wir erfuhren erst sehr spät, dass die Hochschule seinen Lebenslauf nicht akzeptierte, da eine Lücke erkennbar war. Den überarbeiteten, lückenlosen Lebenslauf reichten wir sofort nach und Paul wurde in buchstäblich letzter Minute doch noch immatrikuliert.

Paul ist unsere Erfolgsgeschichte.

Paul bereicherte die Maßnahme ungemein und wir sind traurig, ihn gehen zu lassen. Gleichzeitig sehen wir sein großes Potenzial und wie viel noch vor ihm liegt. Seine Zeit bei „Auf Kurs“ hat ihn wieder auf den Weg gebracht und darauf sind wir stolz. Paul ist unsere Erfolgsgeschichte. Wir hoffen, dass für ihn „Auf Kurs“ nicht seine einzige Erfolgsgeschichte bleibt.

Als wir ihm neulich sein Teilnahmezertifikat vorbeibringen wollten, sagte sein Vater an der Tür, Paul sei unterwegs. Damit war er zwar wieder wie alle anderen Teilnehmenden, die wir aufsuchen, doch noch nie waren wir so glücklich und stolz, einen Teilnehmenden nicht anzutreffen.

Über „Auf Kurs“

„Auf Kurs“ ist ein niedrigschwelliges Angebot für Jugendliche und junge Erwachsene im Auftrag des Jobcenters Landeshauptstadt Magdeburg. Ziel ist, den Kontakt zum/zur persönlichen Ansprechpartner*in im Jobcenter wieder zu stärken und geeignete weiterführende Angebote zur Aufnahme einer Ausbildung oder einer Arbeit zu finden. Die Teilnehmenden werden in der Regel sechs Monate lange individuell begleitet. Eine Verlängerung oder Verkürzung ist bei Bedarf möglich.

Unser Team unterstützt die Teilnehmenden mit individuellem Coaching und Kleingruppenarbeit dabei, schwierige Lebenssituationen zu meistern und eine nachhaltige Lebens- und Berufsperspektive zu erarbeiten. Dabei liegt der Fokus auf den individuellen Interessen und Fähigkeiten und der Persönlichkeitsentwicklung.

Haben Sie Fragen zu „Auf Kurs“?

Kommen Sie gern auf uns zu!

Telefon: 0391 280389-80 oder 0391 280389-81
E-Mail: auf-kurs-magdeburg@faw.de

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